Steffen Mensching liest aus Jürg Amann: »Der Kommandant«
»Blaue Stunde« zum Holocaust-Gedenktag
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das KZ Auschwitz. Seit 1996 ist der Tag in Deutschland offizieller Gedenktag. Wie könnte ein angemessenes Erinnern aussehen? Immer weniger Zeitzeugen können persönlich von ihren Erfahrungen berichten. Schüler reagieren oft mit Überdruss, wird im Unterricht der Nationalsozialismus behandelt. Hollywoodspielfilme, fernsehtaugliche Doku-Thriller oder Schock-Romane werfen die Frage auf, ob es zulässig ist, den Holocaust auf eine solche oberflächliche Weise zu thematisieren. Der Schweizer Autor Jürg Amann schlägt einen anderen Weg ein. Er hat den 300-seitigen Lebensbericht, den der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, ohne Einsicht oder Reue, vor seiner Hinrichtung niederschrieb, zu einem dokumentarischen Monolog verdichtet. »Nichts ist erfunden, kaum ein Wort hinzugefügt«, erklärt Amann, denn »angesichts der Wirklichkeit ist alles Erfinden obszön«. Er ermöglicht uns einen verstörenden Einblick in die Gedankenwelt eines ganz normalen Menschen – und eines Massenmörders.