Ausstellungseröffnung

Das Poem von Kihnu

Fotoausstellung zum Länderschwerpunkt Estland zum Rudolstadt-Festival 2018

Die kleine Insel Kihnu mit ihren bis heute gelebten Traditionen ist nicht nur in Estland einmalig, der Kulturraum der Insel steht seit 2003 auch auf der Liste des mündlichen und immateriellen Kulturerbes der UNESCO.

Beim Studieren der Traditionen des Tragens der Volkstrachten wurde bis jetzt am meisten die Aufmerksamkeit auf die Frauenröcke von Kihnu, die auf Estnisch auch spezielle Namen tragen (kört und troi) und auch etwas auf die Kattuntücher gelenkt. Weniger Aufmerksamkeit erhielten bisher die Kattunschürzen und -jacken, die gemeinsam mit den Röcken eine bunte und unikale Einheit bilden.

Gleichzeitig sind seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gerade die Kattuntücher und -schürzen für die Insulaner eines der fesselnden Themen, wie in ihrer Forschungsarbeit über die Kopftücher mit Druckmustern von Mari Pukk festgestellt wurde.

Die Fotoserie „Poem von Kihnu“ beobachtet einerseits die Kattunstoffe, die auf Kihnu verwendet werden. Diese Stoffe werden nicht nur als ein Teil der Volkstracht gesehen, sie stellen auch eine kostbare Mitgift dar. Die schönen Stoffe werden in den Truhen aufbewahrt: je mehr, desto prächtiger. Auch die in dieser Serie verwendeten Stoffe stammen meistens aus den Privatsammlungen der Frauen von Kihnu, aber auch aus dem Archiv des Museums. Bis heute kann man in den Tiefen der Truhen kostbare und besondere Stoffe, die jahrzehntelang dort lagerten, entdecken.

Ebenso werden die Stoffe nicht nur wegen ihrer Schönheit verwendet, die unterschiedlichen Farben haben sehr klare Bedeutungen. Rosa und rot symbolisieren freudige Ereignisse, blau, schwarz und grün zeugen von Sorgen und Kummer. Auch sieht man bei älteren Menschen im Alltag keine grellroten Farben.

Die Fotografin macht aber noch einen Schritt weiter und stellt zwei Hauptlinien des Lebens auf Kihnu nebeneinander: den Menschen (Hüter der Traditionen, Handarbeit) und die Natur (Umfeld, in die sich die Traditionen einbetten, ebenso der Lebensraum).

Auch die Kinder und Männer sind in dieser Serie im Hintergrund der Kattunstoffe verewigt worden. Da sie ebenso inmitten derselben Traditionen leben, so sind sie sowohl direkt als auch symbolisch „im Hintergrund der Stoffe“ zu sehen. Bekanntlich waren gerade auch die Seeleute aus Kihnu diejenigen, die die ersten Stoffe aus fernen Ländern im 19. Jahrhundert auf die Insel brachten.

Obwohl auch die ältere Generation vertreten ist, nimmt die Ausstellung in erster Linie die mittlere und jüngere Generation unter die Lupe, und somit diejenigen, die die alten Traditionen fortführen, die neben den sonstigen Traditionen auch die Verwendung und Traditionen der Kattunstoffe am Leben erhalten.

„Das Poem von Kihnu“ bildet somit auf seine Art eine visuelle Studie, Erzählung, in der Kattunstoffe als Verswiederholungen – sogar als deren Refrains – vorkommen. Für Außenstehende ist in der sich gegenseitig ergänzenden Symbiose zwischen der Natur der Insel und dem Menschen etwas sehr Schönes, sogar Poetisches enthalten.

Über die Autorin

Birgit Püve (1978) stammt aus Elva, sie lebt und arbeitet als Fotografin in Tallinn. Sie absolvierte die Fakultät Soziales an der Universität Tartu und vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit als freiberufliche Fotografin arbeitete sie viele Jahre als Fotoredakteurin. Ihre Arbeiten wurden auf den Personalausstellungen in Estland, Deutschland, England, Rußland und Polen sowie auf den Gruppenausstellungen in den USA, Frankreich, Lettland u. a. gezeigt. Siehe auch unter www.birgitpuve.com.

Diese Ausstellung wird durch das Kulturprogramm „Kulturraum Kihnu 2015-2018“ und Eesti Kultuurkapital unterstützt.