7. Sinfoniekonzert

»Slawische Tänze« – Werke von Dvořák, Liszt, Franck, Smetana und Brahms

Orchesterwerkstatt mit dem Forum Dirigieren des Deutschen Musikrates

Antonín Dvořák: Karneval-Ouvertüre op. 92 (1891) / Slawischer Tanz op. 46 Nr. 8 (1878) / Slawischer Tanz op. 72 Nr. 2 (1886)
Franz Liszt: Totentanz. Paraphrase über »Dies irae« für Klavier und Orchester S. 126 (1864) / Ungarische Rhapsodie Nr. 2 (Arr. Müller-Bergmann) (1847)
César Franck: Les Djinns FWV 45 (1884)
Bedřich Smetana: »Die Moldau« aus »Mein Vaterland« (1874)
Johannes Brahms: Ungarischer Tanz Nr. 1, 6, 9 (1858–68)

Was fuchtelt der denn da? Da steht doch tatsächlich jemand vor dem Orchester, der in der Vertikalen zu schwimmen versucht, während andere Musik machen?! Was tun Dirigentinnen und Dirigenten wirklich? Sie interpretieren. Sie versuchen, das Geschriebene durch ihre Gestik und Mimik so darzustellen, dass die Musiker nicht nur wissen, wie schnell sie zu blasen, tröten, streichen oder schlagen haben – nein, sondern auch wie. Es geht darum, viele Individuen zu einem kollektiv agierenden Klangkörper zu vereinen, der einer gemeinsamen Idee eines Werkes und Klanges folgt. Idealerweise stimmt diese mit der des Dirigenten überein. Um das zu erreichen, braucht es eine ausgefeilte handwerkliche Technik. Grundlagen wie Schlagbilder, Einsätze, das Anzeigen der unterschiedlichsten Parameter sind unumgänglich. Doch die eigentliche Arbeit beginnt danach. Ein Funke der Begeisterung muss vom Dirigierenden auf das Orchester überspringen, um das Bestmögliche aus jedem herauszukitzeln. Womit könnte man das besser trainieren, als mit wilden, schnellen und charismatischen Tänzen? Mit auserlesenen Werken, denen ein Schalk innewohnt, dem man sich auf dem Pult mit Freuden hingeben muss. Um genau das geht es in diesem Konzert, in dem junge aufstrebende Dirigentinnen und Dirigenten – allesamt Stipendiaten des »Forum Dirigieren« des Deutschen Musikrates – unter den wachen Augen des Chefdirigenten der Thüringer Symphoniker genau diesen Funken überspringen lassen wollen.

GUT ZU WISSEN: Für Kinder und Jugendliche ist der Eintritt zum Sinfoniekonzert im Meininger Hof an der Abendkasse wie immer frei!

Zu diesem Konzert findet eine kostenfreie öffentliche Generalprobe für Schulklassen statt. Anmeldung in der Theaterkasse.


Pressestimmen


»Inspiration und Neugier«
Interview mit den Stipendiaten Lucia Birzer, Elias Brown und Luka Hauser

Ihr alle habt euch dazu entschieden Dirigentin oder Dirigent zu werden. Einfache Frage vorneweg: Warum?
Luka Hauser: Weil es eine große Freude ist, mit einer großen Gruppe von Musikerinnen und Musikern gemeinsam zu musizieren. Was dabei entstehen kann, wenn man mit einem ganzen Orchester, vielleicht noch Chor oder Sängern dazu, zusammenarbeitet, ist einfach ganz wunderbar. Es entsteht viel mehr Energie und es gibt endlose Möglichkeiten zur Gestaltung. Viel mehr, als wenn man nur alleine, z. B. ich als Pianist, spielt. Mich begeistert aber auch schon seit meiner Kindheit das ganze Repertoire von Oper bis Sinfonik. Und so war klar, dass ich versuchen möchte, ein Teil von diesem großen Ganzen zu sein.
Lucia Birzer: Eigentlich wollte ich vor allem Musikerin sein, wollte immer gerne Musik machen. Dabei wollte ich aber immer alles auf einmal machen. Singen und Klavier spielen und am liebsten gleichzeitig noch Klarinette. Es hat sich dann relativ früh so entwickelt, dass ich angefangen habe, eine Art Leitungsposition einzunehmen. Ob in Kammermusik oder größeren Gruppen oder auch mal einem Chor, denn ich dann gegründet habe. Das ist nach und nach entstanden. Damit hatte ich den Berufswunsch an sich schon recht lange, bin aber über einige Umwege erst dazu gekommen.

War der Weg zur Musikerin schon vorgezeichnet?
Lucia Birzer: Nicht so ganz. Meine Eltern sind keine Musiker, haben aber immer gerne Musik gemacht. Zuhause oder bei uns auf dem Land in der Blaskapelle. Und so sind wir, meine Geschwister und ich, da ganz natürlich reingewachsen. Dass es in eine professionelle Richtung ging, das kam dann aus purem Interesse, weil ich einfach immer mehr wissen und lernen wollte.

Wie war das bei dir Elias?
Elias Brown: Bei mir gab es einen bestimmten Moment: Als ich vierzehn war, haben wir mit dem Highschool-Orchester eine Konzertreise nach New York gemacht. Während dieser Reise haben wir eine Art Meisterkurs bekommen von Alan Gilberts Assistenten bei den New Yorker Philharmonikern: Daniel Boiko. Ihn auf dem Podium zu sehen, war für mich so zauberhaft. Er hat eigentlich nichts gesagt, aber ich hatte sofort das Gefühl, ich wäre ein besserer Musiker. Und wir haben als Orchester gleich viel besser gespielt. Ich dachte, okay wow, ein einzelner Dirigent schafft es hier so schnell einen ganz anderen Klang und eine ganz andere Qualität aus uns herauszuholen. Ein Jahr später war er dann Gastdirigent des California All State Orchestra, ich habe ihm geschrieben und ihm erzählt, wie sehr er mich beeinflusst hat und dass ich ihn gerne auf einen Kaffee treffen möchte – so wurde er mein erster Lehrer.

Ihr steht schon mitten im Beruf und eure Vitae lesen sich sehr beeindruckend, trotzdem kommt ihr zu einem Dirigierkurs nach Saalfeld. Ist man mit dem Lernen nicht eigentlich schon fertig?
Lucia Birzer: Ich denke mit dem Lernen ist man nie fertig.
Luka Hauser: Ich kenne keinen Dirigenten, oder Musiker überhaupt, der behauptet, er wäre fertig. Ich denke, wenn man aufhört zu lernen, dann kann man aufgeben und in Rente gehen.
Lucia Birzer: Das betrifft doch auch nicht nur die Musik. Ich finde, wenn man aufhört zu lernen, dann wird alles langweilig. Oder man wird auch einfach alt (lacht). Wir sind vielleicht an ähnlichen Punkten, aber jeder kommt von einem anderen Weg. Es gibt so viel Repertoire, dass man kennen kann und muss, und so viele verschiedene Erfahrungen in unterschiedlichsten Richtungen zu erleben. Deshalb denke ich, dass es gerade am Ende des Studiums sehr wichtig ist, Kurse zu machen. Um auch herauszufinden, was unterschiedliche Dirigenten und Musiker für Meinungen haben, für Erfahrungen mitbringen. Es gibt so viel aufzunehmen. Praxiserfahrung generell und dazu noch mit einem neuen Orchester zu sammeln, ist sehr wertvoll.
Luka Hauser: Ich würde sogar behaupten, wir sind mit Mitte Zwanzig noch ziemlich am Anfang. Auch wenn man im Lebenslauf vielleicht schon einiges stehen hat.

Was macht denn einen guten Dirigenten aus?
Elias Brown: Oh, so viele Eigenschaften. Man braucht eine gute Technik. Man muss klar, aber auch frei sein. Gute Ohren natürlich. Eine echte Liebe zu dem, was man tut. Ich glaube, man braucht einen ego-losen Ansatz. Komponist, Musik und Musiker kommen immer vor einem selbst. Die Liste ist unerschöpflich!
Lucia Birzer: Absolut. Mir ist es immer wichtig, dass ein Dirigent oder eine Dirigentin gut kommuniziert. Auf eine schöne Weise. Natürlich geht es auch darum, welche musikalischen Vorstellungen und Ideen die Person vermitteln möchte, aber dabei kommt es auch auf das »Wie« an. Davon hängt sehr ab, ob die Musikerinnen und Musiker mitgehen, oder eben nicht.
Luka Hauser: Es ist wichtig, dass es ein Dialog wird. Der Dirigent bestimmt nicht, was er möchte und das Orchester führt das dann unhinterfragt aus. Man bekommt als Dirigent immer viel von dem Orchester und darauf reagiere ich und gebe zurück. So trifft man sich gemeinsam im Dialog. Dabei spielt Flexibilität eine große Rolle.

Bei Begriffen wie Kommunikation oder Dialog denkt man erstmal an das gesprochene Wort, das hier aber vermutlich nicht gemeint ist, sondern das musikalische Ausdrücken des Dirigenten durch Gestik und Mimik. Wie wichtig ist am Ende das dirigentische Handwerk? Ist das die Hauptsache?
Lucia Birzer: Also Hauptsache kann man nicht sagen, glaub ich.
Elias Brown: Ja, ich würde sagen, dass die Hauptsache wahrscheinlich die Vorbereitung und die Kenntnis der Partitur ist. Allerdings ist das auch nur die Hälfte.
Lucia Birzer: Und dieses Partiturstudium muss vor den Proben passieren, vor dem Punkt, an dem man anfängt zu proben und auf seine Technik zurückgreift.
Elias Brown: Ohne eine gute Vorbereitung bringt einem die beste Technik nichts. Man muss vorher wissen, was man möchte.
Luka Hauser: Es spart allerdings erstmal Zeit, wenn ein Dirigent eine gute Technik hat. Dann muss er nicht so viel reden. Das Orchester schätzt es, wenn es den Dirigenten ohne Worte versteht.
Lucia Birzer: Das Handwerk muss so weit gut genug sein, dass es nicht stört. Wenn man die Musik rüberbringen will und anständig proben möchte, dann muss das Technische soweit funktionieren, dass die Bewegungen kein Hindernis werden.
Luka Hauser: Die Bewegung, die ein Dirigent ausführt, muss immer in Verbindung stehen mit dem, was er hören möchte. Sie ist wichtig, aber sie ist nur ein Mittel zum Zweck.

Wir haben schon von einem »Erweckungserlebnis« gehört: Ihr habt alle bei ganz unterschiedlichen Personen studiert. Was hat euch während eurer Ausbildung bisher am nachhaltigsten beeinflusst? Was hat euch vielleicht am meisten beeindruckt?
Lucia Birzer: Viele Dinge. Ich habe bei jeder Person, bei der ich gelernt habe oder die ich beobachtet habe immer irgendwas mitnehmen können. Am interessantesten war es aber tatsächlich, Proben zu sehen von sehr erfolgreichen Dirigenten und Dirigentinnen. Andere zu beobachten und zu sehen, wie sie, ohne zu sprechen, oder nur sehr wenig, mit kleinen Gesten ein beeindruckendes Klangergebnis herausholen konnten. Zu sehen, wie leicht es auch aussieht und dabei genau zu wissen, dass es das überhaupt nicht ist. Das Beobachten der tatsächlichen praktischen Arbeit finde ich interessant. Was mich zum Beispiel sehr beeindruckt hat war, Daniel Harding vor dem Rundfunkorchester in Stockholm zu sehen. Man hat gespürt, was für eine tolle Beziehung zwischen Dirigenten und Orchester bestand, und wie gut die Arbeit dadurch funktioniert hat, das war faszinierend.
Luka Hauser: Ja, ich kann nicht nur eine Sache nennen. Es sind immer sehr viele. Für mich war es ein großes Glück, in Berlin und bei den Professoren zu studieren, die ich hatte. Die haben mich sehr unterstützt und ich konnte viel mitnehmen. Natürlich hatte ich in Berlin auch die Chance, die ganze Bandbreite des kulturellen Lebens aufzusaugen. Die Musikwelt hat in Berlin sehr viel zu bieten. Ich habe viele Konzerte und Opern gesehen, konnte mir Proben von großen Dirigenten anschauen. Das war spannend. Durch einen Zeitvertrag an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin hatte ich die Chance, mit Zubin Metha arbeiten zu dürfen. Diese Nähe hat mir sehr viel Inspiration gegeben. Da habe ich gemerkt, was es bedeutet, auf höchstem Niveau zu arbeiten. Ich denke, wir alle profitieren ungemein von der Förderung des Forums Dirigieren. Es macht gerade durch solche Kurse und Assistenzen den Schritt in das Berufsleben einfach leichter, weil wir alle auf Praxiserfahrung angewiesen sind, die so gewährt wird.

Elias, du hast uns schon von deinem Highschool Erlebnis erzählt. Gibt es einen Dirigenten, von dem du sagst: Ja, das ist es, so würde ich gerne werden?
Elias Brown: Ja und nein. Ich möchte mein eigener Dirigent sein und niemand anders. Aber natürlich gibt es Mentoren, die ich sehr bewundere. Esa-Pekka Salonen zum Beispiel. Ich glaub, dass unsere Vorstellungen von Musik und Dirigieren sehr ähnlich sind. Meine Dirigierlehrer Daniel Boiko, mein erster Lehrer, und John Edwards haben mich sehr beeinflusst. Beide haben bei Ilja Musik, dem wahrscheinlich berühmtesten russischen Dirigierlehrer studiert. Für ihn war Dirigieren immer eine physische Kunstform. Also muss man beim Dirigieren auch immer physisch denken und dabei organische, natürliche Bewegungen benutzen.

Gerade in der Ausbildung wird noch sehr unterschieden, zwischen Chor- und Orchesterdirigieren. Ist das noch gerechtfertigt? Denn es geht am Ende doch immer darum, aus einer Gruppe von Individuen, von Musikern, ein bestmögliches Ergebnis herausholen zu können.
Lucia Birzer: Ich glaube, dass eine Profilierung in einer Richtung, in der man dann wirklich Experte ist, schon Sinn macht – niemand kann in wirklich Allem ein absoluter Fachmann sein. Aber ich habe schon darüber nachgedacht, dass die Trennung in der Ausbildung später passieren sollte, eben genau deshalb, weil es prinzipiell erstmal darum geht, eine Gruppe anzuleiten und generell über Musik zu sprechen, sich mit Musik auszukennen. Natürlich gibt es technische Unterschiede. Beim Chor muss man mehr auf die Stimmen aufpassen, muss mehr atmen und muss sich bewusst sein, dass man mit falschen Bewegungen viel kaputt machen kann. Dass bei ungeschickten Bewegungen Stimmen nicht gut laufen oder man den Klang »kaputtschlägt«. Deshalb finde ich es wichtig, sich mit beiden, sagen wir, Seiten auseinanderzusetzen. Später kann man sich dann entscheiden, in welche Richtung man selbst am ehesten gehen möchte, ist aber auf beides vorbereitet. Das fände ich schön.

Elias du kommst rein vom Orchester, wie steht es um deine Chorerfahrung?
Elias Brown: Ja, das stimmt. Ich habe im Bereich Oper natürlich etwas Erfahrung mit Chören gesammelt, aber bin in der Hauptsache mit Orchestern beschäftigt. Aber ich denke genauso, dass man von der anderen Seite immer viel lernen kann. Wie Lucia gesagt hat, ist es auch beim Orchester ungemein wichtig, dass man atmet. Das vergessen wir oft. Jeder findet seine Spezialisierung oder auch Spezialisierungen, kann aber von allem anderen profitieren.
Lucia Birzer: Es ist unwahrscheinlich, dass jemand komplexe Acapella Musik genauso gut beherrscht, wie italienische Oper oder alte Musik. Das geht einfach nicht. Was aber auch sehr schön ist. Jeder kann sein eigenes Gebiet finden.
Elias Brown: Gleichzeitig finde ich es superinteressant, wenn beispielsweise ein Spezialist für Acapella-Renaissance oder Barockmusik, wie Philippe Herreweghe Beethoven dirigiert. Er kommt mit all seiner Erfahrung aus einem anderen Bereich und findet damit neue Ansätze bei Beethoven. Das ist sehr spannend.
Lasst uns über die großen Klischees des Dirigierens sprechen. Man sagt, dass Dirigieren immer noch ein eine große Männer-Domäne sei. Lucia, ist da etwas Wahres dran oder siehst du das eigentlich als längst überholt?
Lucia Birzer: Man merkt es allein durch solche Fragen. Ich verstehe, dass ihr die Frage stellt, aber sie kommt eben in jedem Interview und jedem Gespräch. Ich weiß, dass berühmte Dirigentinnen schon von vornherein sagen, auf diese Frage antworten sie nicht mehr, denn wenn es immer von außen an einen herangetragen wird, ist es natürlich ein Thema. Ich denke, es spielt keine Rolle mehr, ob ein Mann oder eine Frau ans Podium tritt. Ich denke, dem Orchester ist das egal. Vor allem spielt es für mich keine Rolle. Die Gesellschaft ist vielleicht noch nicht so weit, wie die Szene sein könnte, trotzdem gibt es natürlich viele berühmte Dirigentinnen und viele meiner Freundinnen sind Dirigentinnen, deshalb finde ich das absolut normal. Dass wir darüber sprechen müssen, macht es weiterhin zu einem spürbaren Sachverhalt.

Damit ist doch alles gesagt. Vielen Dank! Ich möchte noch ein weiteres Dirigentenklischee ansprechen. Wir haben beispielsweise schon von Zubin Metha gehört, einem der großen Dirigenten unserer Zeit, der nun schon ein stattliches Alter erreicht hat. Es wird viel über Alter und Qualität bei Dirigenten und Dirigentinnen gesprochen und tatsächlich sind viele der großen Namen auch schon in höherem Alter. Wie steht ihr zu dieser Altersdiskussion?
Elias Brown: Es gibt gerade so viel junge wirklich gute Dirigenten und Dirigentinnen. Tarmo Pelotkoski, Klaus Mäkelä oder auch Lorenzo Viotti, die alle bereits bei tollen Orchestern sind. Wir haben vorhin gesagt, dass man nie fertig wird mit Lernen, und das geht auch weiter, egal an welchem Punkt man vielleicht schon angekommen ist. Es ist gut möglich, dass wir die Spitze unserer Kariere erst erreichen, wenn wir sechzig Jahre alt sind, aber das ist doch eine wunderbare Vorstellung, finde ich. Wir haben als Dirigenten die Möglichkeit, uns auf diese sehr lange Reise zu begeben. Ich glaube, dass wir als sogenannte »junge Dirigenten« zwar nicht so viel Erfahrung mitbringen, selbstverständlich, aber dafür frisch und unbelastet an Dinge herangehen können.
Lucia Birzer: Was du, Elias, vorhin gesagt hast: Es ist sehr interessant, wenn Herreweghe Beethoven dirigiert, mit all seiner Erfahrung, aber ich denke nicht, dass Alter per se ein Qualitätsmerkmal ist. Das sind einfach verschiedene Farben. Ob jetzt Bomstedt mit über 90 dirigiert oder wir mit deutlich weniger, kann beides total schön sein, aber eben anders. Das es beides gibt und beides nebeneinander existiert, ist doch wunderbar.
Luka Hauser: Gleichzeitig braucht es einfach viele Jahre Berufserfahrung, bis man die vielen Facetten, die der Beruf mit sich bringt, verstehen kann. Natürlich auf musikalischer Ebene, aber auch in den ganzen anderen Dingen, die dazugehören. Der Umgang mit Menschen, das Einfinden in die Rolle einer Führungsperson, wenn man einen Chefposten an einem Haus übernimmt, man steht als Dirigent auch im öffentlichen Interesse und repräsentiert sein Orchester und Haus nach außen. Ich glaube, um das alles zu bewältigen, braucht es einfach Zeit. Die Entscheidung, ein Dirigent zu werden, wird meist auch erst etwas später getroffen, im Gegensatz zu Solisten beispielsweise. Dort fängt man in sehr jungen Jahren an, sich fortzubilden und zu üben und kann damit seinen musikalischen und technischen Höhepunkt schon deutlich früher erreichen als ein Dirigent, der das vermutlich hinter sich hat und dann den Schritt vom Instrument weg ans Pult geht. Deshalb finde ich es nicht so verwunderlich, dass viele Dirigentinnen und Dirigenten den Höhepunkt ihres Schaffens auch erst später erreichen.

Lasst uns noch etwas über die Literatur der Konzerte in Saalfeld sprechen. Das Repertoir ist nicht unbedingt typisch für einen Dirigierkurs. Beispielsweise die Tänze, für man vielleicht viel Esprit braucht – welche besonderen Anforderungen bringt das Programm mit sich?
Luka Hauser: Zuerst finde ich, dass es ein wunderschönes Programm für den Frühling ist. Wenn man gerade Smetanas »Moldau« und die »Karnevalouvertüre« von Dvořák Dvořák studiert hat und dann einen Spaziergang macht, kann man die Musik richtig fühlen. Die Herausforderung bei solchen kürzeren Stücken wie den Tänzen von Dvořák Dvořák oder auch Brahms liegt daran, dass man in zwei, drei Minuten eine ganze Welt kreieren muss, die stimmig ist, die Atmosphäre hat. Das sind Stücke, in denen es viele Übergänge gibt in immer neue Teile, die einen ganz anderen Charakter haben. Da muss man sich blitzschnell umstellen, den richtigen Charakter treffen und dem Orchester vermitteln. Es gibt keine Zeit in die Stücke zu finden, man muss sofort da sein.
Lucia Birzer: Ich denke, dass die Vorbereitung auf solche kurzen und ja irgendwie frisch klingenden Stücke nicht leichter ist, obwohl es am Ende vielleicht so wirkt. Im Konzert kann das nach purem Loslassen und Spaß am Podium aussehen, aber es steckt natürlich viel mehr dahinter. Einfach gesagt: Je schneller die Musik, desto mehr Seiten Partitur muss man für die gleiche Dauer lernen. Wir bereiten hier also schon ein recht umfangreiches Repertoire vor, über das es viel zu wissen gibt.

Du hast es gerade angesprochen – nach all der Vorbereitung: Wie viel »Loslassen« ist es im Konzert?
Lucia Birzer: Also man kann als Dirigent auch stören. Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus dem Orchester Freiraum geben und so viel, wie von selbst läuft auch laufen lassen, dabei aber die Zügel nicht ganz aus der Hand zu geben. Dadurch hat man mehr Platz, durch kleine Eingriffe Höhepunkte noch besser zu führen. Man sollte sich nicht das ganze Stück hindurch nur um das Tempo kümmern müssen.
Elias Brown: Ich glaube, man muss flexibel bleiben, sowohl in den Proben als auch im Konzert. Man muss dem Orchester auch vertrauen, dass die Musikerinnen und Musiker ihre Sache können, aber dabei auch überzeugen, dass jeder von uns ein bisschen was anderes will und darauf hinarbeitet. In der Aufführung muss die Beziehung stark genug sein, sodass man Spaß daran haben kann, miteinander zu musizieren.

Die Tänze sind doch auch sehr unterschiedlich, gerade Franz Liszts Totentanz fällt sehr aus der Reihe. Ich finde die Musik klingt sehr fahl, bruchstückhaft, das Orchester hält sich meistens auch im Hintergrund, hinter dem Solisten. Es ist düster und wild. Wie schwer ist es, umzuschalten von den Tänzen von Brahms und Dvořák auf die neue Klangsprache im Liszt?
Luka Hauser: Das macht es doch interessant – Tänze aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Dvořák und Brahms haben viel Folkloristisches, da kann man sich tatsächlich vorstellen, wie man dazu tanzen könnte. Das fällt mir nun bei Liszt eher schwer (lacht). Tanz kann viel mehr sein. Nicht nur frisch oder melancholisch, sondern auch sehr dunkel wie bei Liszt. Ich finde das Stück toll komponiert. Den brillanten Klavierpart und das Orchester, das in seinen vielen Farben unterstützt oder das auch mal nicht tut, sondern sich eher mit dem Solisten streitet. Wie die Umstellung sein wird, kann ich noch nicht sagen. Im Partiturstudium kümmere ich mich einzeln um die Stücke, da musste man sich noch nicht so direkt umstellen.
Lucia Birzer: Dass das Orchester nicht viel zu tun hat, finde ich eigentlich nicht. Es verstärkt mit seinen unterschiedlichen Farben die Schwere und das Makabre des Stückes. Die Momente, die das Orchester hat, sollte man eben dann auf den Punkt bringen.
Elias Brown: Es gibt diese interessante Geschichte über den Ursprung des Werkes, dass Liszts ein Fresko in Pisa und Holzschnitte von Hohlbein gesehen hat, die ihn zu
seinem »Totentanz« inspiriert haben. Und obwohl die tanzenden Skelette so surreal, dunkel und makaber sind, ist das, was man da sieht doch auch irgendwie voller Freude. Freude der Skelette an ihrem Tanz. Diesen Kontrast finde ich sehr spannend.

Bei Liszt kam die Inspiration von einem Fresko und Holzschnitten, César Franck bezieht sich auf ein Gedicht von Victor Hugo. Wie wichtig sind euch solche außermusikalischen Einflüsse, Grundlagen, inwieweit bezieht ihr das in eure Vorbereitung mit ein?
Luka Hauser: Ich finde, man kann das nicht trennen. Ich versuche, beim Studieren auch diese Grundlagen anzuschauen, zu erfassen und zu verstehen. Unabhängig von der Musik. Ich möchte versuchen, mich von den Werken so inspirieren zu lassen, wie es die Komponisten taten. Auch wenn ich natürlich nicht die Mittel habe, hinterher ein Meisterwerk zu schreiben, wie Liszt oder Franck. (lacht) Aber ich möchte verstehen, wie man sich bei der Betrachtung fühlt. Auf diese Weise komme ich dem Komponisten näher und kann vielleicht besser verstehen, warum sie das Gedicht oder das Gemälde oder was auch sonst ausgewählt haben. Später kann man bestimmte Elemente aus dem Gedicht in der Musik wiedererkennen. Das gibt dem Werk Struktur, an der man sich entlanghangeln kann. Wie in der Oper eigentlich. Dort kann man auch die Musik nicht von der Handlung, von dem Text trennen. Das gehört einfach zusammen.
Lucia Birzer: Ich finde das einen wichtigen Teil der Vorbereitung. Es ist auch Aufgabe des Dirigenten, sich damit auseinanderzusetzen und den Hintergrund am Ende dem Orchester vermitteln zu können. Es ist wichtig, die Umstände der Komposition zu kennen. So lässt sich untersuchen, was man in der Musik vielleicht wiederfindet und hat damit einen konkreten Ansatz, einen konkreten Zugang, den man vermitteln kann.

Eine letzte Frage in diesem Rahmen. Ihr kommt zum Dirigierkurs nach Saalfeld. Welche Erwartungen habt ihr, was versprecht ihr euch davon?
Lucia Birzer: Ich bin erstmal sehr offen. Ich freue mich über Praxiserfahrung mit einem neuen Orchester, an einem neuen Ort, mit einem neuen Dozenten. Auf neuen Input. Ich denke, wenn man so offen wie möglich das Aufnimmt, was da kommt und damit arbeitet, ist das für den Kurs wahrscheinlich am Besten.
Elias Brown: Und natürlich auch neues Repertoire kennenzulernen. Ich habe bisher nur die Karnevalouvertüre und einen ungarischen Tanz dirigieren können. Der Rest ist eine Entdeckung.
Luka Hauser: Für mich sind alle Stücke neu. Und das ist eine großartige Gelegenheit, neues Repertoire zu dirigieren und kennenzulernen. Ich finde auch, dass es eine große Freude ist, ein neues Orchester zu treffen. Da muss man flexibel bleiben und erstmal ein Gefühl füreinander bekommen. Darauf freue ich mich in diesem Kurs. Es gibt immer viel Neues zu lernen.

Das Gespräch führte Konzertdramaturg Ingo Lößer.


Stückinfos

Spieldauer: ca. 2 Stunden
Spielort: Saalfeld, Meininger Hof


Mitwirkende

Klavier: Alexander Schimpf
Musikalische Leitung: Elias Brown, Lucia Birzer, Luka Hauser (Stipendiaten im Forum Dirigieren des Deutschen Musikrates)
Dirigierkurs/Supervision: Oliver Weder

Es spielen: Thüringer Symphoniker