Sirenengesänge von Erich Kästner
Seiner innig geliebten Mutter schrieb Erich Kästner: »Wenn ich 30 Jahre bin, will ich, dass man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bisschen berühmt.« Sein Wunsch ist mehr als in Erfüllung gegangen, denn nicht nur seine Kinderbücher verzauberten bald darauf Millionen Leser rund um den Globus. Auch als Romancier, Journalist, Lyriker, Essayist, Satiriker, Literatur-, und Theaterkritiker, Drehbuchautor, Kabarettist und Werbetexter wurde Erich Kästner weltberühmt. »Seine besten Einfälle«, schrieb Dolf Sternberger, »haben den Charakter von Kolumbuseiern: Jedermann muss sich wundern, dass er darauf nicht selbst gekommen ist.« Zum Beispiel jene einfache wie schöne Redewendung: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.« Wer weiß schon, dass sie von ihm ist. Mit sensibler Beobachtungsgabe sah Kästner illusionslos auf die Missstände seiner Zeit. Er richtete den Blick weniger nach innen, als in die Welt. Die Helden seiner eleganten und eingängigen Verse sind die kleinen Leute, die im Straßencafé zu lange vor einer Tasse Kaffee sitzen, die Nachbarn im Mietshaus, die Begleiter im städtischen Nahverkehr. Über sie schrieb er, von ihnen wurde er gelesen.
Das Künstlerduo Alexander Stillmark und Volker Pfüller setzt im Schminkkasten unsere Reihe über bedeutende deutsche Humoristen fort. Freuen Sie sich diesmal auf ironische und bissige Gedichte, Lieder und Prosa aus der Hausapotheke von Erich Kästner (1899–1974). Seine scharfsichtigen Sirenengesänge sind es allemal wert, wieder entdeckt zu werden. Denn der hoffnungsvolle Pessimist war stets Moralist und Spaßmacher zugleich.
Michael Helbing schreibt über die Schauspielerinnen, sie wirken »wie aus der Zeit gefallen (und aus der Geschlechterrolle), um die Welt wie von außen zu betrachten«. Im Bezug auf die Aktualität meint er »Moderner geht’s nicht.«, und betitelt die Darstellerinnen als »Rachegöttinnen auf Ironie-Feldzug gegen die Zeit«. Dementsprechend sei der Inhalt des Stückes zwar »recht alt, aber keineswegs überaltert«. Die Inszenierung erschaffe einen Abend, der die »Gegenwart erinnert« und »Literatur der großen Stadt auf einem kleinen Brett zelebriert«. Der Schminkkasten werde zum »literarischen Cabaret aus Berliner Tagen der Moderne«, der »wie ein Keller ist, in dem man zum Lachen gehen muss, wenn einem zum Heulen zumute ist«.
»Gemeinsam oder auch alleine dringen sie zur Finsternis menschlicher Abgründe vor- die politischen und die privaten- mit dem einzigen Ziel, uns heimzuleuchten.«, so beschreibt Helbing die Schauspielerinnen Anne Kies, Ute Schmidt und Verena Blankenburg. Sie »übergeben in Rudolstadt seinen Schriften ihre Flammen; sie flackern, lodern und schlagen Funken fürs heiter- melancholische Leben«. Des Weiteren betont Michael Helbing, dass sie zur Musik Thomas Voigts »brüchig und gebrochen singen«, »doch stolpern sie nicht darüber, sie stürzen sich hinein«. Er lobt, wie sie ihre Texte »unterlaufen und überhöhen, mit einem Subtext, der den Widerspruch feiert«. Abschließend schreibt der Kritiker, dass sie »Kästner leitmotivisch folgen«, ganz nach dem Motto: »Wenn ich die Wahrheit sagen sollte, müsst‘ ich lügen«.
Premiere: 07.09.2019
Spieldauer: Spieldauer: 1 h 50 min / eine Pause
Spielort: Rudolstadt, Schminkkasten
Regie: Alexander Stillmark
Bühne und Kostüme: Volker Pfüller (†)
Dramaturgie: Michael Kliefert
Musik und musikalische Einstudierung: Thomas Voigt
Spielensemble: Verena Blankenburg, Anne Kies, Ute Schmidt
Am Klavier: Thomas Voigt